Wir alle kennen sie, die Zeremonie im Restaurant. Wenn der Kellner kommt, die bestellte Flasche Wein präsentiert, sie kraftvoll und elegant zugleich öffnet und dann fragt: „Wer probiert?“. Meistens zeigt die Runde auf die Person am Tisch, die sich am besten mit Wein auskennt. Wenn sich nichts regt, geht der Kellner zu dem Mann, der nicht wegschaut. Eigentlich will ja niemand freiwillig probieren. Niemand will die Sauberkeit des Weines beurteilen. Niemand will sich irren. Niemand will dem Kellner sagen müssen, dass der Wein Zapfen hat (und von diesem vielleicht noch einen bösen Blick ernten).
Mir war dieser Moment auch oft unangenehm. Je grösser die Gruppe, desto höher der Druck. Egal ob im Restaurant oder zu Hause, heute halte ich mich beim Probieren eines Weines an folgende Überlegung: Wenn ich das Gefühl habe, der Wein hat Zapfen, hat er Zapfen. Das klingt jetzt sehr banal (ist es auch) und nichtssagend (überhaupt nicht). Das Gefühl macht es eben gerade aus. Das Gefühl nimmt dem Wissen normalerweise den Platz weg, oder umgekehrt. Das Gefühl verunsichert uns. Das Gefühl lässt uns denken: „es ist nur ein Gefühl und entspricht möglicherweise nicht der Wirklichkeit“. Genau das ist das Problem. Oder eben die Lösung. Wenn es um Zapfen geht, ist das Gefühl gleich Wissen.
Ihr bildet euch ja nicht ein, dass der Wein nach Zapfen riecht. Ihr riecht etwas, das nach euren Vorstellungen nicht in den Wein gehört und euch an Zapfen erinnert. Also hat er Zapfen. Sonst würdet ihr nichts riechen. So einfach ist es.
Ihr müsst nicht nach dem Zapfen suchen, wenn er da ist, wird er sich präsentieren. Habt einfach etwas Vertrauen in eure Nase. Und, wenn ihr euch dann dafür entschieden habt, dass der Wein Zapfen hat, sagt es laut und sicher. Nichts mit „Ich glaube er hat Zapfen“. Sonst könnte man noch meinen, ihr wisst es nicht.
PS: Wenn ihr einen Wein probiert und für gut empfunden habt, ein anderer in der Runde aber Zapfen riecht, ist das auch nicht so schlimm. Gratuliert ihm einfach zu seiner guten Nase.
[…] „Deckeliwy“ – das sind billige und schlechte Weine. Dieses Vorurteil sitzt leider tief in unseren Köpfen. Unberechtigt berechtigt. Kann sein, dass es früher so war. Heute weht ein anderer Wind. Drehverschlüsse haben eine Daseinsberechtigung. Und einen geachteten Platz in unserer Gesellschaft verdient. Abgesehen vom schnellen Öffnen, leben Sie nach dem Prinzip „no exit, no entry“. Und das kann in vielerlei Hinsicht ein Vorteil sein. Zum Beispiel bei Weinen, die jung getrunken werden sollen. Viele Weine, insbesondere Weissweine, sind nach ihrer Abfüllung bereits trinkreif. Sie leben von ihrer Frische und Frucht, müssen sich nicht mehr entwickeln und entsprechend auch nicht gelagert werden. Wofür also mit Zapfen versehen? Bei lagerfähigen Weinen, kann ein Drehverschluss ebenfalls dienen. Die Entwicklung eines Weines hängt nämlich nicht nur von der Sauerstoffzufuhr ab. Der Zaubersaft kann sich auch ohne äussere Einflüsse verändern, sofern man ihm die Zeit dafür gibt. Vorteil vom Drehverschluss, man kann dem Wein viel Zeit geben, ohne dabei Angst haben zu müssen, dass er plötzlich hinüber ist, zu alt. Weine mit Drehverschluss altern viel langsamer wie Weine mit einem Korkverschluss. Der grösste Nutzen eines Drehverschlusses ist allerdings, das nicht* vorhandene „Zapfen“-Risiko. Das ist vermutlich der häufigste Grund, warum sich Winzer gegen Naturkorken entscheiden. Und viele Trinker danken ihm dafür, vor allem wenn der Degustierschluck ansteht. […]
LikeLike