leichter rausch mit räuschling

Ist Zürich schöner als Bern? Hat Bern mehr Charme? Sind Zürcher arrogant? Sind Berner sympathischer? Diesen Fragen werde ich mich nicht widmen. Ob es nur ein Klischee ist, dass Berner Zürcher nicht mögen? Wer weiss. Mit diesem Blogbeitrag gebe ich euch einen guten Grund, die Zürcher zu lieben. Mir geht es jedenfalls so. Ich liebe sie, weil sie Räuschling entdeckt, über Jahre gepflegt und somit erhalten haben. Ja, es ist beinahe das Beste, was Zürich zu bieten hat. Räuschling? Nein, das ist keine Dauer-Rausch-Pille. Es ist eine weisse Traubensorte. Eine faszinierende, tolle, ganz spezielle Traubensorte. Was für eine Freude einem die Weine bereiten, die daraus entstehen. Noch nie davon gehört? Liegt daran, dass es nicht viel davon gibt. Weltweit rund 25 Hektaren, 18 davon stecken im Kanton Zürich, der Rest vergnügt sich im Limmattal, in der Ostschweiz und ein paar Stöcke sind in Deutschland zu finden. Räuschling ist eine der wenigen autochthonen Traubensorten der Deutschschweiz. Früher war sie die meist verbreitete Traubensorte in der Region. Sie wurde aber der hohen Säure wegen (weil maximaler Ertrag geerntet wurde) von Müller-Thurgau (Riesling-Sylvaner) verdrängt. Dank den Winzern in und um Zürich, erlebt sie heute ein Revival.

Räuschling ist also sozusagen ein Kulturgut. Darauf können wir stolz sein. Darauf können die Zürcher stolz sein. Das sind sie auch. Und wie. Letzte Woche war ich im Weinbistro Sonne in Stäfa am Zürichsee. Kurze Klammerbemerkung zur Location: Klein aber fein. Es hat so ziemlich alles, was der Zürichsee an Wein in die Flasche bringt. Etwa 15 Weine sind jeweils im Offenausschank erhältlich. Ein Besuch ist absolut empfehlenswert, besonders wer Zürichsee-Weine besser kennenlernen will. Klammer zu.

Eben, da sass ich mit meinen Studiengspändli und acht Zürichsee-Winzer im Bistro. Das Thema des Abends war Räuschling. Die Einführung übernahm der Räuschling-Papst und ehemalige Patron vom Weingut Schwarzbach, Hermann Stikel Schwarzenbach. Didi vom Weingut Diederik übernahm wenig später, gefolgt von den anderen Winzern. Alle erzählten sie etwas über Räuschling. Nicht einfach mit Überzeugung, auch nicht nur mit Freude. Nein, da kamen Wasserfälle voller Begeisterung und Faszination gegenüber dieser Traubensorte. Zu recht. Wäre ich religiös, würde ich sie göttlich nennen. Wir degustieren an diesem Abend insgesamt 11 Räuschlinge. Von ganz jung (2016) bis mittelalt (2007). 2007, mittelalt? Ja, ein Räuschling überlebt locker 20 Jahre und ist noch frisch und lebendig, wie es manch andere nach einem Jahr nicht mehr sind.

Ich vergleiche Weine ja gerne mit Menschen. Räuschling ist ein alter Freund. Man sieht ihn nicht oft, aber auf ihn ist Verlass. Er kann verspielt sein und jeden Mist mitmachen, einem aber wiederum auch fadengrad die Wahrheit an den Kopf klatschen. Das kann unter Umständen weh tun. Missen möchte man ihn deswegen aber nicht. Im Gegenteil, er ist einer dieser interessanten, einzigartigen Freunde, diejenige, die man nicht an jeder Ecke findet. Jung und erfrischend wirkt er und doch schlummert viel Weisheit in ihm.

Muss man haben so einen Freund oder? Ich finde ihn super. Wirklich. Richtig. Und so etwas gibt es (fast) nur bei uns. Da mutiere ich es bizzli zum Patriot.
Falls ihr noch nie einen Räuschling probiert habt, dann solltet ihr das unbedingt nachholen. Am besten jetzt. Es ist nämlich ein hervorragender Sommerwein.
Für die Berner unter euch, unsere Weinhandlungen haben den Räuschling irgendwie noch nicht wirklich entdeckt. Im Tredicipercento gibt es einen von der Frau Strasser, kennen tue ich ihn allerdings nicht. Abgesehen davon, wüsste ich nicht, wo es Räuschling zu kaufen gäbe (Zürich-Bern-Klischéee lässt grüssen?). Aber die Zürcher Winzer liefern netterweise auch nach Bern.

Welcher Räuschling euch schmeckt, müsst ihr natürlich selber entscheiden. Ich stelle euch jedoch gerne meine drei Favoriten vor:

  1. Weingut Diederik: Der Wein, der das Titelbild ziert. Bei unserem Sommerwein-Contest hat er den zweiten Platz belegt. Ich finde ihn hervorragend. Neben der klassischen Säure bringt er auch schmeichelnde Früchte hervor. Ideale Balance. Für mich, nahezu der perfekte Wein.
  2. Weinbau Schwarzenbach: Stikel habe ich oben schon erwähnt. Der Master of Räuschling. Und entsprechend schmecken auch seine Weine. Unverkennbar, absolut klassisch. Er hat verschiedene Linien und zeigt dadurch, wie vielseitig Räuschling ist, ohne aber charakterlos oder austauschbar zu wirken. Was hier besonders fasziniert, ist das Alterungspotential. Bei seinen Weinen gilt wirklich, je älter umso besser.
  3. Lüthi Weinbau: Rico Lüthi war während der Degustation mein Tischnachbar. Das ist nicht der Grund, warum ich seinen Räuschling mag. Hat aber sicher einen Einfluss darauf. Weine widerspiegeln ja nicht selten ihre Produzenten. Rico ist ein bescheidener Typ, der eigentlich am liebsten mit seinen Reben alleine ist. Sein Räuschling ist zart, elegant und schön. Ein Lob auch auf seinen Pinot Noir und die Scheurebe.

Et voilà, trinkt Räuschling, ihr werdet die Zürcher dafür lieben.

Fast vergessen, wozu er passt? Apéro und Fischknusperli.